Interview mit dem Gründer des Projekts, Michi
Lieber Michi, kannst du uns erklären, wie es zu der Idee und Gründung des Projekts „Litfaß-Goes-Urban-Art“ kam?
Angefangen hat das alles mit dem Projekt: „Der Anonyme Plakatabriss“. Zusammen mit einem Freund begann ich vor einigen Jahren in Berlin zerrissene und beschädigte Plakate an Stromkästen und Wänden zu fotografieren. Wir entdeckten darauf viele tolle und meist zufällig entstandene Collagen.
Wenn Plakate längere Zeit an den Wänden kleben, dann werden sie hin und wieder auch Mal absichtlich oder unbeabsichtigt beschädigt. Die darunter liegenden Flächen werden wieder sichtbar und so entstehen oft überraschende Begegnungen aus Gesichtern, Typographie und Farbflächen.
Es sollte aber nicht bei den Fotos bleiben. Wir druckten unsere Bilder auf Plakatpapier (Affichen) im A1 Format und plakatierten diese wieder an Ort und Stelle. Brachten sie also wieder auf die Straße zurück; auf die Wand, wo wir zuvor den Plakatabriss entdeckten.
Unsere Plakate nennen wir ANTIPLAKATE, da sie alles andere als gewöhnliche Plakate sind. Sie tragen keine Message; machen auf keine Veranstaltung oder Produkt aufmerksam, sondern kleben bestenfalls nur für sich.
Die Litfaßsäulen haben mich damals auch schon interessiert; allerdings gab es auf ihnen nur selten beschädigte Plakate. Und Anfang 2019 gab es dann plötzlich überhaupt gar keine Werbung auf Litfaßsäulen. Sie wurden einfach nicht mehr plakatiert. Das hat mich ziemlich verwundert und ich recherchierte und fand heraus, dass die Betreiber der Litfaßsäulen wechselten. Man muss wissen, dass die Litfaßsäulen der Stadt Berlin gehören, welche die Säulen vermietet. War vorher die WALL AG für die Säulen verantwortlich, übernahm danach die Firma ILG die Flächen. Der Deal mit der Stadt sah aber auch eine Grunderneuerung der Litfaßsäulen vor. Die meisten Säulen sollten durch Neuere ersetzt werden. In dieser Zeit durften sie nicht mit Werbung plakatiert werden. So standen diese wunderbaren Objekte inhaltslos herum und naja, … ich hatte meine Antiplakate und beklebte einige Litfaßsäulen von oben bis unten. Hat ziemlich viel Spass gemacht und so kam mir die Idee, auch Arbeiten von anderen Künstlern auf Litfaßsäulen zu zeigen. Anonym rief ich bei der Firma ILG an und fragte nach, ob nicht in dieser Übergangszeit die leerstehenden Säulen von Künstlern genutzt werden könnten. Eine gelangweilte Stimme faselte irgendwas von Richtlinien und Paragrafen und verstand nicht den kulturellen Mehrwert einer solchen Aktion. Ich entschied mich es trotzdem zu machen und startete am 5. April 2019 eine Aktion mit dem Namen LITFASS GOES URBAN ART. Über 10 Künstler plakatierten in der Boxhagener Straße und Umgebung die freistehenden Litfaßsäulen. Jeder hatte seine eigene Säule. Jede wurde individuell gestaltet und am Ende gab es einen Parcours aus Kunstsäulen. Eine einmalige Aktion – zumindest dachte ich das.
Und dann hörte ich von den denkmalgeschützten Litfaßsäulen. Die Stadt Berlin erklärte nämlich Mitte 2019 vierundzwanzig Litfaßsäulen zu Denkmälern. Die Älteste unter ihnen steht auf dem Hackeschen Markt und wurde um 1900 aufgestellt. Hier führte ich mein Projekt weiter und begann mich für die Kunst im öffentlichen Raum auf denkmalgeschützte Litfaßsäulen einzusetzen. Denn schließlich gibt es ja genug Werbung im öffentlichen Raum und nur wenig Flächen für Künstler. Insgesamt zählt Berlin rund 2500 Litfaßsäulen auf denen Werbung gezeigt wird. Da lassen sich doch 24 Litfaßsäulen ohne Weiteres freistellen?!
Bis in den Sommer 2021 plakatierte ich mit vielen verschiedenen Künstlern denkmalgeschützte Litfaßsäulen und versuchte so auf das Projekt und die Idee dahinter aufmerksam zu machen. Die Firma ILG ließ nicht mit sich reden und die Stadt Berlin tut sich leider noch immer schwer damit; auch wenn mir der Kultursenator von Berlin seine Unterstützung zusicherte.
Aber ich bleibe dabei: Auf Denkmäler gehört keine Werbung! Kunst statt Kommerz!
Wo stehen die historischen Litfaß-Säulen, die du für dein Projekt nutzt?
Die Älteste steht auf dem Hackeschen Markt und dann gibt es zwei im Prenzlauer Berg am Kollwitzplatz und weitere in Friedrichshain -Kreuzberg (Lasdehnerstraße, Fredersdorferstraße, Marchlewskistraße).
Viele von denen sind sehr individuell in ihrer Gestalt. Je nach dem aus welcher Zeit sie stammen. Die Litfaßsäulen aus der DDR bestehen überwiegend aus Beton und sind sehr minimalistisch; während einige Säulen aus der Kaiserzeit wunderbare schmiedeeiserne Hauben tragen. Die auf dem Kollwitzplatz hat beispielsweise kleine Löwenköpfe als Wasserspeier und die auf dem Mexikoplatz einen merkwürdigen Kelch als Krone. Viele sind hohl und wurden in früherer Zeit auch als Telefonkabelverzweiger oder Transformatorenstation genutzt.
Welche Künstlerinnen und Künstler haben bereits teilgenommen?
Viele Künstler*Innen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Ein Fotograf, Holger Biermann, hat seine Straßenfotografien auf Affichen gedruckt und wie eine Bildergeschichte von oben bis unten um die Säule geklebt. CAZ.L sprühte ihren Springer und die kleinen Fische als Stencils auf das Affichenpapier. REAL NAME improvisierte und beklebte die Säule mit Plakatfetzen, die er zuvor von den Plakatwänden in der Umgebung abriss. Es ist spannend zu sehen, wie jeder einzelne mit der Säule umgeht. Sie ist nicht flach wie eine Wand, man muss herumgehen, um alles sehen zu können. Manche behandelten die Säule daher auch eher als eine Art Skulptur oder Objekt. Der Siebdruck-Künstler Christian Gfeller gestaltete beispielsweise eine psychedelische Litfaßsäule, die aus der Ferne mit ihren neonfarbenen Punkten auf neon-orangenem Hintergrund noch von Weitem flimmerte. Ein Passant beschwerte sich sogar und empfand es als grausam fürs Auge. Es hatte also seine Wirkung. (lacht)
Wie lief die Arbeit mit der Stadt Berlin, an wen musstest du dich für Genehmigungen wenden und wie groß war der Zuspruch für dein Projekt?
Ich versuchte mir eine Genehmigung zu besorgen. Das hatte aber leider nicht funktioniert. Die Firma ILG – glaube ich zumindest- duldete lediglich mein Projekt, solange keine kommerzielle Werbung auf den Flächen gebucht wurde. Ich ließ das Projekt daher nicht laut werden und hielt mich anonym hinter dem Namen LITFASS GOES URBAN ART zurück. Immer mit der Furcht, vielleicht doch Ärger zu bekommen. Aber von Seiten der Bewohner und Künstler gab es durchweg nur positives Feedback. Sie ermutigten mich und meinten, sie finden es besser kreative Arbeiten auf den Säulen zu sehen, statt Werbung. Daher entschied ich mich für die Öffnung hin zur Stadtpolitik und fragte zunächst beim Bezirksbürgermeister von Pankow nach. Und noch am selben Tag schrieb er zurück und wollte die Schirmherrschaft für das Projekt in seinem Bezirk übernehmen. Doch nach einigen Wochen musste er mir leider absagen, da ihm die Hände gebunden waren. Die denkmalgeschützten Säulen standen längst unter Vertrag und die Firma ILG hatte kein Interesse von ihren 2500 Litfaßsäulen nur eine einzige für das Projekt abzugeben. Mit einem Empfehlungsschreiben vom Bezirksbürgermeister konnte ich mich aber an den Kultursenator wenden und bekam Zuspruch. Damit war aber noch nichts gewonnen. Denn die Senatorin für Verkehr, Klima und Umweltschutz muss noch überzeugt werden; da sie – anscheinend - die Verantwortung für die Säulenvermietung trägt. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich Mal mit solchen Dingen beschäftigen muss. Gibt spannenderes, aber so ist das nun Mal, wenn man sich darauf einlässt.
Derzeit werden wieder alle denkmalgeschützten Litfaßsäulen mit kommerzieller Werbung plakatiert. Da ist kein Platz für Kunst.
Wie groß ist die Resonanz bisher? Kriegen du und die Künstler*innen viel Zuspruch?
Ich habe eine Petition ins Leben gerufen und Stimmen gesammelt. Aber viral bin ich nicht so gut aufgestellt und daher gab es auch nicht viele Unterzeichner. Dank eines engagierten Grafikers, Simon Wahlers, mit dem ich zusammen ebenfalls die Litfaßsäule auf dem Hackeschen Markt plakatierte, haben wir einen Offenen Brief aufgesetzt und Unterzeichner*Innen aus dem Kunst- und Kulturbetrieb direkt angeschrieben. Das lief gut und wir haben wichtige Personen gewinnen können. Jetzt müssen wir Mal sehen, ob das auch genügend Gewicht hat und was bewirkt.
Darunter ist auch die Ur-… Enkelin von Ernst Litfaß. Die findet das Projekt klasse!
Was passiert eigentlich mit den Kunstwerken, wenn sie von den Säulen abgenommen werden? Sind die danach noch brauchbar? Oder wird jedes Werk eigens für die Ausstellung an der Litfaß-Säule hergestellt mit dem Wissen, dass es danach zerstört wird?
Was für die Straße produziert wird; bleibt auch auf der Straße! Naja, nicht immer, aber grundsätzlich lassen sich die Arbeiten eher schlecht von der Säule lösen und daher haben wir jede Arbeit auf die vorherige geklebt und so einen mächtigen Mantel an Plakatpapier um den Säulenkörper geschaffen. Ich wollte eigentlich letzten Sommer mit einer Handkreissäge den Mantel aufschneiden und mit sehr viel Kraftaufwand von der Säule schälen, aber die Firma ILG ist mir zuvorgekommen und hat alles entfernt und ihr schreckliches Firmenlogo raufgesetzt. Daher ist das Material verloren; ansonsten hätte ich daraus eine große, wunderbare De-Collage gemacht.
Wie geht das Projekt in Zukunft weiter, was hast du als nächstes geplant?
Wieder einen Brief an die Senatorin verfassen und für Aufmerksamkeit bei der Stadt sorgen! Man braucht einen langen Atem. Es geht dort überwiegend nur um wirtschaftliche Interessen und die Kultur steht leider hinten an.
Aber glücklicherweise ergibt sich ja immer irgendetwas. Und tatsächlich habe ich vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eine kleine Litfaßsäule aus Kunststoff geschenkt bekommen. Klein heißt jetzt circa 3 ,5 Meter hoch. Glücklicherweise war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Es wurde ein kleiner Park saniert und auf einem Podest stand diese kleine Litfaßsäule. Ich wollte sie wild bekleben und wurde von einem Bezirksamtmitarbeiter überrascht. Der war aber ganz entspannt und erklärte mir, dass die Säule bald entsorgt wird und wenn ich möchte, könne ich sie haben. Tja, so kam ich zu meiner Litfaßsäule. Auf Instagram habe ich den Abbau dokumentiert. Das war keine leichte Aufgabe, denn die Säule war im Inneren mit Sand gefüllt und den musste ich mühevoll mit einer kleinen Schippe und einem Eimer rausschaufeln. Ich bin dreimal daran verzweifelt und habe es doch geschafft. Jetzt steht die Säule im STATT LAB auf dem Hinterhof und wird dort von den Künstlern hin und wieder plakatiert. Das ist ein Verein von Kreativen, die dort ihre Werkstätten für Siebdruck und Fotografie haben. Ein toller Ort, aber leider ist der Innenhof nicht öffentlich zugänglich. Ich suche derzeit mit einer sehr engagierten Künstlerin, Marina Naprushkina, einen Ort in Mitte, um sie dort hoffentlich bald dauerhaft aufzustellen. Vielleicht gibt es auch Fördergelder. Soweit der Plan.